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Der Tag des manuellen Wassersports
Um gleich mit dem Knaller anzufangen: Seit dem Fall der Mauer vor dreißig Jahren gab es nur an zwei oder drei Tagen – zuletzt 2009 – die Gelegenheit, die Innenstadtspree mit muskelkraftbetriebenen Booten zu befahren. Am 18. Mai, dem Tag des manuellen Wassersports war es wieder so weit: Der Bereich zwischen Oberbaumbrücke und Lessingbrücke wurde von 9 bis 14 Uhr für Ruder- und Paddelboote geöffnet und für Motorboote und Touristenschiffe geschlossen. Wir – Gustav, Kai und Schreiber dieses – hatten das Glück, dabei gewesen zu sein. Hunderte Paddel- und Ruderboote befuhren bei strahlendem Sonnenschein den Fluss. Großes Publikum bevölkerte die Szene an den Ufern und auf den Brücken (zugegeben, die waren nicht nur wegen uns gekommen). Es war ein fantastisches Erlebnis, an den Großbauten von Zentral- und Landesbibliothek, der Museumsinsel mit dem Rundbau des Bode-Museums als Abschluss, dem Humboldt Forum, dem Reichstag, dem Band des Bundes mit dem Lüders-Haus, dem Paul-Löbe-Haus und dem Bundeskanzleramt vorbeizufahren.
Und so sind wir dahingekommen: Die Ruderabteilung – hier heißt das „Ruderriege“ – der TiB (Turngemeinde in Berlin, gegründet übrigens 1848 von Turnvater Jahn (für die Jüngeren: „Turnvater“ ist kein Vorname)) hatte uns zu ihrer jährlich stattfindenden TiB-TiB-Tour zwischen ihren beiden Standorten in Treptow-Köpenick an der Oberspree und in Spandau-Tiefwerder („Tiefwerder? – ha’ick noch nie jehört“ meinte unsere Taxifahrerin) eingeladen. In diesem Jahr ging es also über den sonst für Ruderboote gesperrten Spreeteil der Innenstadt. Weitere Teilnehmer kamen aus Jena und Halle.
Der Start mit gut zehn Booten war am Standort Oberspree. Wir bekamen ein besonderes Boot: Nicht nur, dass es ein 5+ war, sondern es war aus einem auseinandergeschnittenen Achter entstanden und setzte sich aus fünf ursprünglich nur aneinandergeschraubten, jetzt – wegen Undichtigkeit – zusammengeleimten Teilen zusammen: Bug mit Ruderplatz, Ruderplatz, Ruderplatz, Ruderplatz, Heck mit Ruderplatz und Steuersitz. Liz, unsere 18-jährige TiB-Steuerfrau hat uns nicht nur sicher durch das Gewimmel geführt, sondern zeigte bei anderer Gelegenheit auch erstaunliche artistische Leistungen.
Das Clubhaus in Oberspree ist ein Neubau, ein zweistöckiger Kasten mit auffälliger Plexiglasfassade. Unten Bootshaus, oben großer Saal. Küche, Sauna, Gästezimmer. „Funktional, aber seelenlos“ meinen einige TiBler. Gustav fand aber an der minimalistischen Architektur Gefallen. Das genaue Gegenteil in Tiefwerder: ein eingeschossiger Vorkriegsbau mit 50er Jahre Anbau für Übernachtungen. Die Einrichtung 60er Jahre Stil. Ein Platz zwischen Grün und Industriehafenanlagen gelegen, ein kleines Idyll. Gerne sitzt man hier mit einem Bier in der Hand am Steg und lässt die Beine im Wasser baumeln. Angeregte Gespräche; allenthalben auf die Frage „Allet jut?“ die beruhigende Antwort „Allet jut!“. Für den Abend hatten die TiB-Kameraden eine zünftige Grillerei vorbereitet. Beim gegenseitigen Präsente-Machen fiel das kleine Club-Fläggchen, das wir mitbringen durften, ein mmh…, bisschen mickrig gegen die große der TiBler aus, was jedoch der guten Stimmung keinen Abbruch tat.
Offenbar schätzen auch Tiere den Club: Einer der auf dem Platz Übernachtenden berichtete am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück, er sei in der Nacht aufgewacht: ein neugieriger Fuchs hatte sich ins Zelt gewagt. Ist aber nix passiert.
Auf dem Rückweg nach Oberspree am nächsten Tag haben wir übrigens noch kurz Station gemacht im Treptower Ruderverein, dem neuen Heim von Onkel Paul, einem betagten Klinkerboot, das der CfWP vor rund 10 Jahren verkauft hatte. Wir haben uns sagen lassen, es ginge ihm dort gut und er würde gerne gefahren.
Gastrokritik: Am Freitag im Italiener Il Casolare (Grimmstraße 30) gegessen. Knallvoll, gute Pizza mit dünnem Boden, die Linguini mit Shrimps nicht so überzeugend. Hauswein OK.
Samstag im TIB Tiefwerder: Nachmittags Kaffee und selbstgebackener Kuchen, lecker! Am Abend Kartoffelsuppe, gegrilltes Fleisch, Würstchen, gefüllte Paprika, Bier, Wein….alles prima. Am nächsten Morgen dort üppiges Frühstück mit selbstgemachter Marmelade. Ooch jut.
Am Sonntagabend waren wir im sehr guten und preiswerten kleinen Restaurant ELA in der Graefestraße 18. Perfekte Dorade, begleitet von Pfälzer Weinen (ein Riesling von Heinrich Vollmer und ein Grauburgunder von Claus Jacob) und ein Gulasch mit Rotkohl und gebratenen Semmelknödel, das Kai begeisterte. Die Crème brûlée war der Wahaansinn… eine perfekte Karamelisierung, die auf der Zunge zerging. Es gab leider nur noch eine Portion – alle durften aber kosten.
Sachlicher Kurzbericht („funktional, aber seelenlos“):
17.5.: 8 Stunden und 6 Minuten lange Fahrt im Golf Plus nach Berlin. Spaziergang am Landwehrkanal über Urbanhafen zum Planufer. Abendessen. Übernachtung im Acama-Hostel in Kreuzberg.
18.5.: Fahrt mit PkW zum TiB Oberspree. Dort gemeinsamer Start der Boote. Am Nachmittag Ankunft im TiB Tiefwerder. Wir CfWPler zurück mit Bus und U-Bahn zurück zum Hostel. Ins Bett gefallen.
19.5.: 7:45 Uhr Taxifahrt nach Tiefwerder („Tiefwerder?- Ha’ick…“). Frühstück. In den Booten zurück über den Landwehrkanal mit Abstecher Treptower Ruderverein nach Oberspree. 70 Wanderruderkilometer. Rückfahrt im Auto zum Hostel. Abendessen.
20.5.: Nach dem Frühstück Rückfahrt nach Zündorf in 6 Stunden und 4 Minuten.
Wir haben die angenehme, entspannte und gleichzeitig kommunikative Atmosphäre bei den Berliner Ruderfreunden sehr genossen!
„Allet jut? – Allet jut!“
Text: Heinrich Wirtz
Fotos: Kai Baedorf, Gustav Vella